Deutschland hat einen Gesetzesentwurf mit dem sperrigen Titel „Lieferkettengesetz“ bereits beschlossen; das Gesetz soll 2023 in Kraft treten. Die EU diskutiert ebenfalls einen solchen Rechtsrahmen, indem Unternehmen globale Verantwortung inklusive Schadenersatz für Menschenrechtsver-letzungen, Kinderarbeit und Ausbeutung übernehmen müssen. Wer dabei an Kinderarbeit in der pakistanischen Textilwirtschaft denkt oder an westafrikanische Kakaobauern liegt nicht ganz falsch. Aber das Thema kocht auch in unserem näheren Umfeld auf. Im Ö1 Morgenjournal und in der Presse kritisierten unlängst weißrussische Oppositionelle die „Priorbank“, Tochter der Österreichischen Raiffeisen Bank International, durch Begebung einer 1,4 Milliarden Staatsanleihe öffentlich bekannte Menschenrechtsverletzungen unmittelbar zu unterstützen. Der Vorwurf wurde von den Verantwortlichen der Bank zwar aufs schärfste zurückgewiesen, aber er zeigt, mögliche neue ethische Standards auf, mit denen nun gemessen wird.
In der Corona-Epidemie schwappten soziale Missstände in der deutschen Fleischwirtschaft nach oben. Fremdarbeitskräfte aus dem Osten Europas, ohne Absicherung, ohnmächtig durch Kettenverträge über Leiharbeits- und Subfirmen weitervermietet. Gesetzliche Änderungen waren bereits die Folge. Auch in Österreich trachten renommierte Branchenunternehmen, Fremdarbeiter zukünftig ausschließlich direkt im jeweiligen Unternehmen anzustellen und auf Subfirmen weitestgehend zu verzichten.
Hygiene Austria erweiterte für sich in den letzten Tagen die Auslegung der Herkunftskennzeichnung, indem in China produzierte Masken mit dem „Bauplan Österreich“ als made in Austria ausgegeben wurden. Wer glaubt da noch an seriösen Wettbewerb? Der Kampf unserer Bauern um die Ausweitung der Herkunftskennzeichnung auch in der Gastronomie und Gemeinschaftsverpflegung wird so nochmals unterstrichen. Nein, es geht nicht um zusätzliche Bürokratie; es geht darum, das umzusetzen, was mit der EU-Verordnung intendiert ist. Die Herkunft kann bezeichnet werden, wenn ein maßgeblicher Anteil der Wertschöpfung in diesem Land erfolgt. Gleichzeitig muss die Herkunft der primären Zutat richtig ausgelobt werden. Also z.B. Joghurt, in Südtirol produziert, mit Rohmilch aus Österreich, müsste deklariert werden als „Joghurt aus IT, Milch aus AT“.
Mittlerweile erkennen auch die Kartellwächter die Ohnmacht der Bauern gegenüber dem unverhältnismäßig hohen Einfluss des Lebensmittel-Einzelhandels an. Bauern- und Traktorenstreiks vor Lebensmittellagern in Deutschland weisen auf gefühlte Missstände hin. In Österreich schuf man mit dem Pakt für Fairness in der Handelskette einen europaweiten Auftakt für mehr Gerechtigkeit. Die Europäische Union hat dazu eine EU-Richtlinie über unfaire Handelspraktiken (UTP-Richtlinie) herausgegeben. Die deutsche Bundesregierung verschärft diese noch, indem beispielsweise der Vertragspassus für die Rücksendung nicht verkaufter Lebensmittel an Produzenten verboten werden soll. Alleine auch sie steht vor dem Problem, dass 99 Prozent der Bauern nicht direkt an den Lebensmittelhandel liefern. Zwischen ihnen und dem Lebensmittelhandel stehen jene vorgelagerten Stufen, oftmals auch durchaus in großer genossenschaftlicher Stärke wie bei den Molkereien, die durchaus wichtige und arbeitsteilige Funktionen erfüllen.
Während der Lebensmittelhandel also durchaus Bereitschaft zeigt, heimische Landwirtschaft zu unterstützen, bekommt er Bauern, getrennt durch Mühlen, Molkereien, Fleischindustrie und Gewerbe kaum zu Gesicht. Es wäre also Aufgabe Raiffeisens,- wo und wie immer möglich,- den Bauern in der Lieferkette ein Gesicht zu geben. Der neue Wettbewerb um Lebensmittel sollte sich zukünftig nicht an den Preisen sondern am Ziel eines besseren Lebens entzünden. Die Diskussion kann eröffnet werden, das Auditorium ist bereit.
Rudi Grünanger, März 2021